Die Kunst der Auszeit

Mitarbeitern längere Auszeiten vom Berufsleben zu gewähren, ist in deutschen Unternehmen längst nicht die Regel. In seinem Buch „Die Kunst der Auszeit“ bricht Autor Thomas Hübner eine Lanze für sogenannte Sabbaticals. Wird der Nutzwert dieses personalwirtschaftlichen Instrumentes unterschätzt?

 

Die Frage liegt auf der Hand. Ist der Wunsch, eine längere Auszeit vom Berufsleben zu nehmen, zeitgemäß angesichts der angespannten Arbeitsmarktlage und der herrschenden Arbeitsplatzunsicherheit?

 

Setze ich als Mitarbeiter nicht zu viel aufs Spiel, wenn ich davon Gebrauch mache? Thomas Hübner kennt die Kritik: „Zunächst einmal: Wer auf diese Weise gegen ein Sabbatical argumentiert, hat das Recht natürlich immer auf seiner Seite – und dazu die Medien.“ 

 

Laut Hübner ist es nur eine kleine Minderheit, die so genannten Luxus-Sabbaticals leistet wie die berühmte Weltreise oder die Segeltour in der Südsee. Dennoch dominiert dieses Motiv die Berichterstattung in den Medien. „Vermutlich, weil andere, viel häufiger von Auszeitlern angeführte Begründungen für ein Sabbatical nicht annähernd so „sexy“ sind“, kritisiert Hübner. 

 

Wer sich aber die Mühe einer Differenzierung macht, wird feststellen, dass die Diskussion nachhaltig hysterisiert ist. Hübner kennt die Rechtslage und weiß, dass der Arbeitnehmer mit dem Wunsch nach einem Sabbatical in den seltensten Fällen gleich seinen Arbeitsplatz riskiert. „Vielleicht muss er nach seiner Rückkehr mit einer anderen, aber vergleichbaren Tätigkeit vorlieb nehmen, vielleicht muss er an einen anderen Standort wechseln. Menschen, die sich zu einem Sabbatical entschließen, nehmen das billigend in Kauf. Denn sie haben in der Regel gute Gründe.“ 

 

Die Gründe für eine Auszeit sind in den meisten Fällen drängender persönlicher Natur, wie zum Beispiel, sich zu regenerieren nach einer stark fordernden Lebensphase, oder verstärkt einer familiären Aufgabe nachzukommen – wie etwa der Kindererziehung oder der Pflege eines Angehörigen. „Ein weiteres Motiv“, so Hübner, „liegt jedoch häufig in der beruflichen Weiterbildung, zum Beispiel im Erlernen einer Sprache oder dem Wunsch zu promovieren.“

 

Gerade der Wunsch nach beruflicher Weiterentwicklung sollte Unternehmen aufhorchen lassen, dennoch sind es etwa nur vier Prozent der deutschen Unternehmen, die ihren Mitarbeitern die Möglichkeit für längere Auszeiten offerieren. In der Regel sind es die großen Unternehmen, die sich mit ihrer Personalabteilung damit auseinandersetzen. Laut Christiane Flüter-Hoffmann, Projektleiterin „Betriebliche Personalpolitik“ am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln sind Sabbaticals im Dienstleistungsbereich wesentlich weiter verbreitet als in der Industrie. Dennoch findet man auch in der Automobilindustrie erfolgreiche Projekte. So führte zum Beispiel Autobauer BMW die Option zum selbst gewählten Freizeitblock bereits 1994 im Rahmen neuer Formen der Arbeitsflexibilisierung ein. „In der Regel ist ein Zeitraum von einem bis maximal sechs Monaten möglich“, erklärt Unternehmenssprecherin Martina Hatzel. „Die durchschnittliche Sabbatical-Zeit bei der BMW Group beträgt 2,5 Monate.“ Laut Hatzel ist die Teilnehmerzahl in den letzten Jahren stark angestiegen. Insgesamt haben seit der Einführung 1994 bereits deutlich über 6.000 Mitarbeiter ein Sabbatical eingelegt.

 

Finanziert wird das Sabbatical durch die Jahressonderzahlungen wie Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, Erfolgsbeteiligung oder einer Kürzung des Jahreseinkommens um 1/12 pro Sabbatical Monat. Der Vorteil ist ein Weiterlaufen des normalen Monatsentgelts inklusive aller Sozialabgaben und der Wegfall von Vor- bzw. Nacharbeiten.

 

„Die Erfahrungen mit der Sabbatical-Regelung sind vom Start weg sehr positiv“, erklärt Hatzel. Die alle Prognosen weit übertreffende Inanspruchnahme verbunden mit erstaunlich geringen Problemen bei der Umsetzung und Organisation hat drei Jahre nach der Einführung dazu geführt, die zunächst befristete Regelung unbefristet fortzusetzen.“

Handelsunternehmen agieren hinsichtlich längerer Auszeiten ihrer Mitarbeiter bislang insgesamt mit größerer Zurückhaltung als der Durchschnitt aller Unternehmen. „Dass der Handel bislang kaum Sabbaticals anbietet, liegt vermutlich daran, dass Arbeitszeitkonten hier noch nicht zum gängigen Flexibilisierungsinstrumentarium gehören“, erläutert Flüter-Hoffmann. „Zwar hat inzwischen jedes vierte Handelsunternehmen ein Jahresarbeitszeitkonto, aber nur zwei Prozent aller Handelsunternehmen verfügen über Lebensarbeitszeitkonten, die die Durchführung von Sabbaticals erleichtern.“

 

Ein Blick in die Schweiz zeigt, dass auch in Handelsunternehmen positive Erfahrungen mit Auszeiten gemacht werden können. Der schweizerische Handelskonzern Migros, zum Beispiel, steht längeren Auszeiten von Mitarbeitern grundsätzlich positiv gegenüber. „Wenn ein Sabbatical richtig geplant und durchgeführt wird, nützt es sowohl den Mitarbeitern wie auch dem Unternehmen“, erklärt Peter Naef, Mediensprecher des Migros Genossenschafts-Bundes, der selbst schon eine mehrmonatigen Auszeit in Anspruch genommen hat. „Migros bietet seinen Kadermitarbeitern pro Jahr eine zusätzliche Ferienwoche, die sogenannte Ibu Woche (individuell bezahlter Urlaub). „Diese Wochen können gespart und kumuliert werden, so dass – bei Bedarf – eine längere Auszeit genommen werden kann.“ Längere Auszeiten sind laut Naef zwar noch nicht die Regel, doch ein bis zweimonatige Absenzen werden inzwischen häufig in Anspruch genommen.

 

Wo liegen die Vorbehalte gegenüber beruflichen Auszeiten?

Vorbehalte gibt es auf beiden Seiten: Die Beschäftigten fürchten, den Anschluss im Unternehmen zu verpassen, Karrierechancen zu vertun oder als Faulenzer angesehen zu werden. Die Arbeitgeber fürchten, dass die Beschäftigten hinterher eine längere Eingewöhnungszeit brauchen und länger nicht produktiv arbeiten können. In einer Studie des Bundeswirtschaftsministeriums im Jahr 2001 gaben 56 Prozent der befragten Personalchefs an, sie befürchten Integrationsprobleme bei der Wiedereingliederung in den Beruf.

 

„Gegen längere Auszeiten von Mitarbeitern spricht in den Unternehmen vor allem die administrative Hemmschwelle“,erklärt Jana Jelenski, Mitarbeiterin der Berliner Arbeitszeitberatung Dr. Hoff Weidinger Herrmann, „das heisst die Vereinbarung und Ausarbeitung des Langzeitkontos sowie die Behandlung von steuerlichen und sozialversicherungstechnischen Problemen. Zwar gibt es inzwischen mehr Rechtssicherheit, dennoch dominiert das unterschwellige Unbehagen.“

 

Seit 2001 legt das „Gesetz über Teilzeit und befristete Arbeitsverträge“ die wesentlichen Bedingungen zu einer flexiblen Gestaltung der Arbeitszeit fest. Danach muss der Betrieb mindestens 16 Mitarbeiter (ohne Auszubildende) beschäftigen und der Antragsteller wenigstens sechs Monate dort beschäftigt sein. In diesem Fall hat er Anspruch auf eine Teilzeitregelung, welche er mindestens drei Monate vor Beginn beantragen muss. Versagt werden kann dieser Wunsch, wenn betriebliche „Belange“ entgegenstehen.

 

Wo liegen die Chancen für Unternehmen? „Solche Angebote wirken sich positiv auf Loyalität und Mitarbeiterbindung aus“, erklärt Buchautor Hübner. „Zudem dient der Sabbatical als ein personalwirtschaftliches Instrument.“ So bieten inzwischen einige Firmen in flauen Auftragszeiten ihren Mitarbeitern an, mehrmonatige Absenzen zu nehmen. „Die Beratungsgesellschaft Accenture, zum Beispiel, konnte auf diese Weise in 2001 eine Reihe von aufwändig rekrutierten Mitarbeitern halten, bis der Markt wieder anzog“, erläutert Hübner.

 

Bei Airbus Deutschland hat der starke Auftragsrückgang nach dem Terroranschalg vom 11. September 2001 dazu geführt, ohnehin bestehende Überlegungen zur weiteren Flexibilisierung der Arbeitszeiten gezielt fortzuführen. Die neue Arbeitszeitwelt des Unternehmens wird durch das Drei-Konten-System aus Arbeitszeit-, Sicherheits- und Lebensarbeitszeitkonto geprägt. Laut Unternehmen zeigen die erste Erfahrungen, dass die Betriebspartner hiermit probate Instrumente zur Reaktion auf teilweise immense Auftragsschwankungen geschaffen haben, mit denen auch die Mitarbeiter zufrieden sind.

 

Längere Auszeiten von Mitarbeitern bieten Unternehmen zudem die Möglichkeit Aufgabengebiete neu zu überdenken, ohne dabei auf die Person des Stelleninhabers zu schauen. „Das birgt die Chance zum Aufbrechen verkrusteter Prozesse und damit die Gelegenheit zur Veränderung im Unternehmen“, erklärt Arbeitszeitberaterin Jelenski. „Darüber hinaus haben andere Kollegen die Möglichkeit, Aufgaben zu übernehmen und sich weiter zu entwickeln.“

 

Zu den klassischen Nutzern der Sabbaticals gehören bislang überwiegend Akademiker im Alter zwischen 30 und 45, die entweder eine längere Reise antreten, ein eigenes Haus selbst mit bauen oder eine Zusatzqualifikation erwerben wollen. Aber es sind auch die Facharbeiter, die noch den Meister machen wollen oder Väter und Mütter, die die Zeit für die Familie nutzen wollen.

 

Obwohl der Mitarbeiter frei entscheiden kann, wie er die Auszeit nutzt, wird trotzdem deutlich, dass das Sabbatical das Ideal einer Win-Win-Situation beschreibt, da es sowohl für das Unternehmen als auch für seine Angestellten Vorteile mit sich bringt: Der Mitarbeiter hat Gelegenheit, eigene Ziele zu verwirklichen und Zeit, privat wie beruflich neue Ziele anzuvisieren. Der Arbeitgeber profitiert von der (wieder)erstarkten Leistungsfähigkeit und Motivation, von neuen Ideen und von dem bewusst oder unbewusst gewachsenen Wissens- und Erfahrungshorizont des Mitarbeiters.

 

 

Tipps von Thomas Hübner

Den richtigen Zeitpunkt wählen

In der Regel wird niemand ein Sabbatical nehmen, der erst vor vier Monaten zur Firma kam. Und vermutlich auch niemand, kurz bevor eine Beförderung ansteht. Allerdings sind auch das keine Hinderungsgründe, wenn es wirklich „brennt“. Über den besten Zeitpunkt zum Ausstieg auf Zeit wissen die Auszeitnehmer selbst am besten Bescheid. Fraglich ist allerdings, ob das auch in die Zeit- und Ressourcenplanung des Unternehmens passt. Wenn die Firmenbelange ein kurzfristig erbetenes Sabbatical nicht zulassen, geht es darum, geschickt zu verhandeln und miteinander eine befriedigende Lösung zu finden. 

 

Möglichkeiten zur Finanzierung

Sparen. Entweder Zeit oder Geld. In der monetären Variante bieten manche Unternehmen die Möglichkeit, beispielsweise für zwei Jahre auf 10 Prozent des Gehalts zu verzichten, bei weiterhin 100 Prozent Arbeitszeit. Während des Sabbaticals laufen dann die Bezüge weiter, bis das Sparkonto geplündert ist. Die Zeitvariante wiederum erfreut sich in flexibel organisierten Unternehmen großer Beliebtheit. Anstatt Überstunden zu nehmen und alle Urlaubswochen zu verbrauchen, sammeln die Angestellten diese in ein „Zeit-Sparschwein“, welches dann fürs Sabbatical geschlachtet wird. 

 

Für die Mitglieder der oberen Organisationsebenen, deren Arbeitsleistung meist nicht nach Stunden erfasst wird, gilt das Prinzip des privaten Sparens. In der Regel ist deren Vergütung hoch genug, um einen entsprechenden Überschuss für das Sabbatical zu erwirtschaften. Ist aus bestimmten Gründen keine der genannten Finanzierungsmöglichkeiten in Reichweite, lohnt es sich, eine wichtige Frage zu stellen: Worauf in meinem Leben kann ich für eine Übergangszeit verzichten? Auf dem Prüfstand stehen dann Zweitwagen, Versicherungsprämien, Eigentumswohnung, Golfmitgliedschaft und was dem Einzelnen sonst entbehrlich sein könnte.

 

Notwendige Vorbereitungen

Neben der Finanzierung sollte die Frage nach der Renten- und Krankenversicherung geklärt sein. Weiterhin muss der Auszeitnehmer dem Unternehmen genügend Vorlaufzeit gewähren, um seine Absenz einzuplanen. Sehr hilfreich ist auch, wenn er sein Anliegen in eine von Unternehmensseite leicht nachvollziehbare Argumentation fasst. Ebenso sollte er sich, wenn möglich, schriftlich zusichern lassen, was genau ihn nach seiner Rückkehr erwartet: Wird er zum Beispiel seinen alten Arbeitsplatz wieder bekommen oder eine vergleichbare Position.

 

Eine anderer Aspekt der Vorbereitung wird häufig unterschätzt: Zu klären, was genau ich als Auszeitnehmer in meinem Sabbatical erreichen will – und an welchen Merkmalen ich diesen „Erfolg“ feststellen kann. Eine unscharfe Formulierung wie, „Ich möchte mich körperlich und geistig erholen“, bringt nicht viel. Das hat zwar den Vorteil, dass der Auszeitler sein Ziel kaum verfehlen kann. Aber besser ist es, detailliert festzulegen, woran ich die Zielerreichung erkennen kann. Zum Beispiel: „Ich habe mein Ziel erreicht, wenn ich wieder Lust verspüre, berufliche Herausforderungen anzugehen“, oder „ … ich mich wieder gut konzentrieren und ruhig schlafen kann“. Bleibt schließlich noch die Frage zu klären, mit welchen Mitteln und auf welchen Wegen der Sabbaticalnehmer an dieses Ziel gelangt. Das kann er entweder selbst herausfinden – oder diesen Aspekt gemeinsam mit einem erfahrenen Berater besprechen.