Mediale Kommunikette - der Schrei der Großbuchstaben

Mediale Kommunikette - der Schrei der Großbuchstaben

Die Vielfalt der „neuen Medien“, wie z.B. E-Mail, Handy oder Internet sind aus dem Geschäftsverkehr nicht mehr wegzudenken. Ständige Erreichbarkeit ist für viele bereits zur Selbstverständlichkeit geworden. Doch die neuen Kommunikationsmöglichkeiten haben auch ihre Schattenseiten. Längst ist eine Diskussion über den richtigen Umgang mit den neuen Medien im Gange. Nettikette, oder allgemeiner, Kommunikette ist ein Muss, um im Geschäfts- wie Privatleben keine Ablehnung hervorzurufen.

 

Der Vertrag ist geplatzt und Wolfgang M. versteht die Welt nicht mehr. Bis vor 20 Minuten hatte das Gespräch mit seinem Kunden noch einen erfolgsversprechenden Ausgang der Verhandlungen erwarten lassen, doch nach dem kurzen Telefonat mit seiner Sekretärin hatte sich die Atmosphäre merklich abgekühlt. Was war passiert? Herr M. hatte doch nur schnell das Gespräch auf seinem Handy entgegengenommen. Zugegeben, es war kein günstiger Zeipunkt, hatte er doch gerade mit Herrn T. über den Kaufpreis für die neue Betriebssoftware verhandelt. Unter 500.000 Euro wollte er den Auftrag schließlich nicht abschließen. Vielleicht war es auch ein Fehler, seine Sekretärin am Hörer so lautstark in den Senkel zu stellen, weil sie vergessen hatte, einen nachfolgenden Termin rechtzeitig zu stornieren. Nach zehn Minuten war der Terminkalender endlich neu geordnet, doch da hatte sich Kunde T. mit Blick auf die Uhr von ihm verabschiedet.

 

Ein Einzelfall?

Mal ehrlich, wer hat sich nicht schon Mal über das ständige Handyklingeln im Zug geärgert, oder den Sitznachbarn verflucht, weil er mit Presslufthammerkräften auf der Tastatur seines Laptops herumhackte? Vielleicht war es ja auch die kryptisch geschriebene E-Mail („ik brauke Adetsse von Ppetre Hfmn mti Psstleitzhal“), die erst nach dreimaligem Lesen verstanden wurde oder eben der Geschäftskunde, der sein Mobiltelefon grundsätzlich angeschaltet lässt und mitten in den Verhandlungen alle Anwesenden mit dem Klingeln seines Handys (Beethovens Neunte) aufschreckt und zu allem Überfluss das Gespräch auch noch annimmt. 

 

Der richtige Umgang mit den „neuen Medien“ ist letztendlich Ansichtssache, doch haben sich nach zwanzig Jahren der Nutzung einige Grundsätze etabliert, die zu einem wichtigen Bestandteil der Kommunikationskultur geworden sind. Die Kenntnis der „Nettikette“ (Kunstwort aus engl. Net – Netz und Etiquette – Etikette) oder „ Kommunikette“ wird in unserer Gesellschaft mittlerweile so gut wie vorausgesetzt. 

 

Aber was bedeutet Netiquette z.B. beim E-Mail-Verkehr? Wer eine E-Mail schreibt, will gelesen werden. Daher ist es schon im eigenen Interesse, den Text so zu verfassen, dass er auch gut lesbar ist. Bei einem durchschnittlichen Posteingang von 20 bis 30 E-Mails am Tag ist jede Erschwernis mehr als störend. Außerdem liegt der Schluss nahe, dass jemand, der die äußere Form seiner Artikel vernachlässigt, sich auch mit dem Inhalt keine große Mühe gegeben hat. Im Internet finden sich inzwischen zahlreiche Seiten, die über Netiquette informieren.

 

Die Universität Dortmund gibt zum Beispiel folgende Ratschläge in Sachen E-Mailing: Im Geschäftsverkehr dient E-Mailing der raschen und formlosen Sachinformation. Schon die Betreffzeile sollte daher zutreffend, kurz und aussagekräftig sein. Machen Sie Gebrauch von Groß- und Kleinschreibung; für das E-Mail gibt es keine neuen Deutschregeln. WER IN GROSSBUCHSTABEN SCHREIBT, DER SCHREIT! auch klein geschriebene sätze erschweren die lesbarkeit.

 

Wenn Sie eine Nachricht beantworten, zitieren Sie nur die Stellen, auf die Sie sich beziehen. Auch wenn es noch so bequem geht: Das komplette Wiederholen einer Nachricht ist unhöflich gegenüber dem Empfänger und aufwendig für das Netz. 

Gehen Sie sparsam bzw. nur ganz gezielt mit Smileys um (wie z. B. :-) für “Ich freue mich”. Diese verlieren bei zu häufigem Gebrauch stark an Wirkung. 

 

Nehmen Sie Rücksicht auf weniger Versierte: Nutzen Sie neue oder raffinierte Techniken nur dann, wenn Sie sicher sind, dass der Empfänger damit klarkommt. Das gilt insbesondere für das Einbeziehen von vorbereiteten Dateien, Verschlüsseln von Nachrichtenteilen, Senden von Sprechnachrichten oder – generell – Multimedia-Dokumenten. 

 

Blähen Sie Ihre Signatur nicht unnötig auf: sie sollte im Regelfall nicht größer als die übermittelte Nachricht sein (z.B. nicht länger als 5 Zeilen); sie braucht keine Informationen zu enthalten, die bereits an anderer Stelle in der E-Mail stehen; tolle Signaturen (“ASCII-Malereien”) nutzen sich im Wiederholungsfall in ihrer Wirkung ohnehin stark ab; sie stellen eine unnötige Basislast dar. 

 

Noch ein paar Tipps: 

Um eine gute Lesbarkeit zu erreichen, vermeiden Sie unmotivierte Umbrüche, also abwechselnd lange und sehr kurze Zeilen, das so genannte Kammmuster. Auch unterstützt die Einteilung des Textes in mehrere Absätze die Lesbarkeit. 

 

Als ebenso störend werden falsch codierte Umlaute oder andere Sonderzeichen empfunden. Diese Formmängel sind im E-Mailverkehr vergleichbar mit Fett- und Tintenflecken auf Papier und werden genauso wenig gerne gesehen. 

 

Berücksichtigen Sie bei wichtigen Angelegenheiten, dass E-Mailing noch immer nicht zuverlässig funktioniert: Wenn Sie eine wichtige Nachricht versenden, kündigen Sie sie per Telefon an; wenn Sie eine erhalten, bestätigen Sie deren Empfang. 

 

Schnelles Antworten unverzichtbar

Aber Vorsicht: E-Mailing ist nach wie vor nicht für vertrauliche Kommunikation geeignet: Solche Informationen sollten nur verschlüsselt übertragen werden, da viele mitlesen können. 

 

Bedenken Sie auch, dass Mail keine Schneckenpost ist. Der schriftliche Charakter von E-Mail verführt, sie wie Briefe zu behandeln. Angemessener jedoch ist der Vergleich mit einer Telefonnachricht. Akzeptabel ist daher bei ‘normalen’ Mails ein Beantwortungszeitraum von 24 Stunden. Sendungen, die eher Briefcharakter haben und längere Beantwortung erfordern, können auch mehrere Tage warten. Und andere, die keinerlei konkrete Frage stellen und mehr der Kontaktpflege dienen, natürlich noch länger. 

 

Im Geschäftsverkehr erwarten kaufwillige Kunden jedoch eine sofortige Antwort. Kommt sie nicht binnen weniger Stunden, wird angerufen – im Zweifelsfall bei der Konkurrenz. Woraus sich für geschäftliche Nutzung die Notwendigkeit ergibt, mehrfach am Tag den Posteingang abzurufen und zu beantworten. 

 

Auch ist beim Weiterleiten von E-Mails Vorsicht geboten. Individuelle Post ist genauso vertraulich wie ein Brief zu behandeln. Sie darf also nur mit Zustimmung des Absenders weitergeleitet werden. Witze oder Kettenbriefe können guten Gewissens allenfalls dann versandt werden, wenn man absolut sicher ist, dass der Empfänger dergleichen mag. Im Zweifelsfall sollte man auf die Belästigung verzichten.

 

Natürlich gelten beim E-Mailing auch die Grundsätze, die für die Korrespondenz im allgemeinen gelten, wie z.B. Höflichkeit. Die Leichtigkeit und Schnelligkeit des Mediums rechtfertigen nicht hemdsärmelige oder gar unfreundliche Umgangsformen. Auch sollte man mit Inhalt, Ausdruck oder Form seiner Nachricht keine Erwartungen wecken, die nicht erfüllt werden können. Bedenken Sie ganz allgemein: Ihre Nachricht ist Ihre Visitenkarte. Sie verrät mehr über Ihre Person, als Sie ahnen. 

 

Stichwort Handy

Damit das Handy nicht gleich zum Handykap wird, ist es auch hier sinnvoll, einige Regeln zu beachten. Telefonanrufe zählen zu den synchronen Kommunikationsformen, was bedeutet, dass Sender und Empfänger zur selben Zeit kommunizieren. Telefonate, ob per Festnetz oder Handy, unterbrechen aber den Lebensrhythmus des Angerufenen, sei es, dass dieser gerade konzentriert arbeitet, im Gespräch mit anderen ist, oder persönlichen Bedürfnissen nachgeht. Unangekündigte Anrufe empfinden viele inzwischen als vermeidbare Belästigung, die sich von unangemeldeten Vertreterbesuchen nur graduell unterscheidet. 

Daraus ergibt sich die entscheidende Grundregel aller neumedialen Kommunikette: Wenn möglich, sollte asynchrone Kommunikation synchroner vorzgezogen werden. Wenn ein Anliegen per E-Mail oder Fax zu lösen ist, ist diesem Weg Vorzug zu geben. Zumindest Geschäftstelefonate (dazu zählen auch Internet-Telefonate) sind unter den heutigen Kommunikationsverhältnissen genauso zu verabreden wie alle anderen Vorgänge, die die Synchronisierung individueller Zeitabläufe erfordern, also gleich Konferenzen, Geschäftsessen oder Besuchen in Privathäusern. 

 

Neue Telefontechnik eröffnet bei persönlich gespeicherten Telefonbüchern auch die Möglichkeit einen Anrufer direkt mit Namen anzusprechen. Da die meisten Menschen ein eigenartiges Gefühl dabei haben, wenn Sie sofort mit ihrem Namen angesprochen werden, ohne, dass sie sich gemeldet haben, ist es besser, darauf zu verzichten.

Dass Mobiltelefone während eines Kundentermins oder bei der Teilnahme eines Kongresses am besten ausgeschaltet – zumindest aber auf stumm oder Vibrationsalarm umgestellt werden sollten, versteht sich von selbst. Nicht zuletzt, weil manch hoch sensible Konferenztechnik bei Funkverkehr gestört wird. Aus diesem Grund sind auch in Flugzeugen keine Handys zugelassen. Hier drohen bei Zuwiderhandlung im Extremfall bis zu zwei Jahren Haft. 

 

Selbstverständlich ist auch das Schreiben einer SMS während eines Geschäftstermins unhöflich. Das macht nicht nur Lärm, sondern zeigt den Anwesenden auch, dass sie absolut uninteressant sind. Einzige Ausnahme: es dient dem weiteren Verlauf des Gespräches und wird mit den Anwesenden vorher abgestimmt. 

 

Dass moderne Kommunikationstechnik inzwischen sogar als Bedrohung empfunden werden kann, zeigen neue Regeln beim Autohersteller VW. Aus Angst vor Betriebtsspionage müssen Handys mit integrierten Kameras hier am Empfang abgegeben werden. 

 

Jede neue Kommunikationstechnik hat bislang Diskussionen um ihren sozialen Gebrauch ausgelöst, ob Schreibmaschine, Telegraf, Telefon oder Fax: Kaum war die Arbeit der Entwickler halbwegs erledigt, traten die Knigges auf den Plan. 

 

Wie in anderen Bereichen des Lebens sorgen aber Normen in der Kommunkation für größtmögliche Kompatibilität. Etikette steigert somit die Effizienz – gerade im Geschäftsleben ein nicht zu unterschätzender Faktor. Softwarehändler Wolfgang M. hätte möglicherweise seinen 500.000 Euro-Umsatz noch am selben Tag sichern können, wäre sein Handy ausgeschaltet gewesen.